Wie in vielen sächsischen Dörfern gibt es auch in Reinhardtsgrimma (heute ein Ortsteil der Stadt Glashütte) ein“ Erbgericht“. Das Dorf selber ist besonders bekannt durch die von Gottfried Silbermann erbaute Orgel in der Dorfkirche und durch das vom Sächsischen Staatsministerium genutzte Barockschloss aus der Mitte des 18. Jahrhunderts. Für den Ort selber ist das ehemalige Gasthaus „Zum Erbgericht“ das wichtigste Gebäude: Dieses historische Gasthaus, dessen Wurzeln auf die jetzt 800 Jahre zurückliegende Ortsgründung zurückgeht, ist in der Ortschronik zum ersten mal 1513 erwähnt. Im Laufe der Jahrhunderte hat es viele Wandlungen durch gemacht, die heute nicht mehr sichtbar sind. Nur aus den Chroniken kann man entnehmen, dass der zum Rittergut gehörende Kretscham bei den häufigen Besitzerwechseln des Gutes immer eine Rolle spielte. In einem alten Erbregister von 1624 heißt es: „Die Mittelmühle Obig der Schencke…“ Die Mittelmühle, heute Bäckerei und Mühle, steht noch am gleichen Ort, ebenso also der alte Gasthof.
Die Baugeschichte des Hauses ist noch nicht aufgearbeitet. Die jetzige Schenke wurde etwa zu Beginn des 18. Jahrhunderts wahrscheinlich auf den Fundamenten des alten Gasthauses aus der Gründerzeit des Dorfes, neu erbaut, da die heutigen Grundmauern so dick sind, dass sie nicht erst im 19. Jahrhundert entstanden sein können.
Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wüteten in vielen Städten und Dörfern Brände, bei denen unzählige Häuser zerstört wurden. Der Oberlandbaumeister Karcher lies daher verfügen, dass neue Häuser steinern und mit Ziegeln gedeckt zu erbauen sind. Die Brandmauern sollten stark ausgebildet sein und die steinernen Giebel bis ins Dach reichen. Des Weiteren war aus Brandschutzgründen für Küchen und Ställe ein Gewölbe vorgeschrieben. Sowohl die starken Außenwände als auch die Kreuzgewölbedecken in Stall und Küche deuten darauf hin, dass das Erbgericht zu dieser Zeit unter Einhaltung der geltenden Richtlinien neu erbaut wurde. Das jetzige Gebäude, in seiner letzten Fassung wurde etwa 1830 durch den damaligen Besitzer des Rittergutes Georg Konrad Ruschenbusch auf den alten Fundamenten errichtet unter Zusammenfügung verschiedener Bauabschnitte. Es ist jedoch im 19. Jahrhundert noch mehrfach umgebaut worden.
Es enthielt eine Gaststube, einen Tanzsaal, einen auf Sandsteinsäulen überwölbten Stall und diverse Nebengebäude, wie eine im Flurbuch von 1875 zu findende Skizze zeigt. Die letzten Besitzerin, Frau Iltsche, verkaufte das Anwesen an die Konsumgenossenschaft, die es 1958/59 durch den Architekten Dr.-Ing. Peter Wendt umfassend umbauen ließ. Aus dem Dorfgasthof mit Fleischerei wurde ein Landwarenhaus mit Industriewarenverkaufsstelle, Lebensmittelverkaufsstelle, Gaststube, Mehrzwecksaal mit Kinovorführmöglichkeit und Gesellschaftsräumen.
Die damit verbundenen Umbauten waren der bisher größte Eingriff in die Bausubstanz, obwohl der Bestand weitgehend erhalten werden sollte. Nach außen hin dokumentierte sich dieser Umbau vor allem in großen Fensterveränderungen. Da waren große Schaufenster eines Lebensmittelladens, die Vitrinenfenster eines Industriewarenladens und die vergrößerten Saalfenster, die den dörflichen Rahmen sprengten. Aber in dieser Form war der Konsum das wichtigste gesellschaftliche Zentrum des Ortes und viele Einwohner erinnern sich noch heute gern an die Tanzvergnügungen und Feste im großen Saal des Obergeschosses.
1994 ging der Konsum in Insolvenz. Das Gebäude wurde geschlossen und stand in den folgenden 10 Jahren leer und nutzlos im Ort. Alle Versuche einen Investor oder Nutzer zu finden schlugen fehl. Wasser und Vandalismus beschädigten die Konstruktion. Es drohte der Abriss, da die Gemeinde keine Möglichkeit sah, das Gebäude zu erhalten und zu nutzen. Es bildete sich daraufhin 2005 ein gemeinnütziger Verein: „Kulturzentrum Erbgericht“, um das Gebäude zu retten, kaufte es, um es unter diesem Namen wieder einer Nutzung zuzuführen.
Mit Spendenaufrufen und bescheidenen Mitgliedsbeiträgen, mit der uneigennützigen Hilfe von Handwerkern und Betrieben und der Hoffnung auf Fördermittel versuchte er seitdem das Gebäude wieder für das Gemeindeleben nutzbar zu machen. Das Erbgericht steht auf Grund seiner Geschichte und als ortsbildgestaltendes Gebäude unter Denkmalschutz.
Bei der Neugestaltung war Einiges rückzubauen. Auch wenn die Baugeschichte der Vorgängerbauten noch nicht erforscht ist, so kann man doch die Veränderungen der letzten 100 Jahre gut aus Zeichnungen und aus der Substanz ablesen. Ältere Teile (Kellergewölbe) und neuere Teile sind zusammengefügt worden. Anbauten haben den ursprünglichen Baukörper vergrößert und teilweise entstellt. Der Umbau von 1958/59 hat die größten Veränderungen hinterlassen, von denen mindestens die großen Schaufenster, die nicht ins Dorfbild passten und das Gebäude entstellten, zurückgebaut werden mussten. Dem Verein ist es gelungen, die Fenster im Erdgeschoss wieder in der alten Form zu ersetzen und auch die Fenster des großen Saals im Obergeschoss nach altem Vorbild zu verkleinern. Obwohl auch etliche schwere Bauschäden beseitigt werden mussten und die gesamte technische Infrastruktur verschlissen war, kann doch dank des gut erhaltenen Dachstuhls und der zwar anfälligen aber noch intakten Dachdeckung das Gebäude als baulich gesichert gelten.
Dem Verein fiel neben der baulichen Sicherung und Sanierung die Aufgabe zu, für das Haus ein neues tragfähiges Nutzungskonzept zu finden und den denkmalgeschützten Baukörper vorsichtig dem neuen Konzept anzupassen. Das Konzept sieht vor, im ehemaligen Stall, nachmaliger Industriewarenverkaufsstelle eine Begegnungsstätte für Ausstellungen, Feiern, Versammlungen, Vorträge usw. zu schaffen. Dieser Teil wird seit 2006 schon so genutzt. Der Raum hat, dank seiner Kreuzgewölbe und Sandsteinsäulen eine wunderbare Atmosphäre und eignet sich hervorragen für diese Funktion. Unterstützt durch eine kleine Küche ist sie auch ein idealer Raum für Familienfeiern, Hochzeiten und dergleichen. Auch Advent -und Weihnachtsfeiern, Ausstellungen und Begegnungen fanden schon statt. Im Obergeschoss ist eine sehenswerte Pilzausstellung eröffnet worden, die sicherlich deutschlandweit einmalig ist. In der ehemaligen Gaststätte ist ein dörflicher Laden entstanden, der die Bedürfnisse der Menschen befriedigen sollte, die nicht mit dem Auto über viele Kilometer Einkaufen fahren wollten oder können. Für den Ort war das ein echter Gewinn. Trotzdem gelang es nicht, den Laden gegen die übermächtige Konkurrenz der großen Supermärkte zu behaupten. Nach ein paar Jahren musste er wieder schließen und der Verein sucht nun für die Räume eine neue Nutzung.
Der große Saal im Obergeschoss, der etwa 200 Personen fasst, soll das Kulturangebot für das Dorf und die Umgebung im weitesten Sinne zwischen Kirche und Schloss schließen. Er ist in weitem Umfang der einzige nutzbare große Versammlungsraum und wird, nachdem er mit Bühne, Beleuchtung Theke, Toiletten und Bestuhlung vom Verein wieder hergestellt worden ist, vielfältig für Feiern, Ausstellungen Theatervorführungen und Tanzveranstaltungen genutzt.
Da in der ländlichen Gegend oft auf das Auto nicht verzichtet werden kann, hat der Verein die verschlissenen Nebengebäude im Hofbereich abgerissen und einen Parkplatz geschaffen, der auch für Veranstaltungen im Freien genutzt werden kann und genutzt wird. Mit Hilfe einer großen Fördersumme der LEADER-Förderung Erzgebirge und mit einer sehr großzügigen Kreditierung durch die Stadt Glashütte konnte als letzte große Baumaßnahme das gesamte Dach mit neuen Bieberschwanzziegeln gedeckt werden. Gleichzeitig wurden dabei mehrere Sanierungskomplexe im Gebäude abgeschlossen. So konnte die alte Saaldecke erneuert und mit einer den energetischen Forderungen entsprechenden Wärmedämmung versehen werden. Der Saal bekam dazu eine maschinelle Lüftung mit Wärmerückgewinnung und eine verbesserte Akustik. Damit ist der Saal des Erbgerichtes einer der oder überhaupt der modernste Saal des Stadt Glashütte. Weiter gab es umfangreiche Verbesserungen im Brandschutzbereich, in der Elektrik und erste Arbeiten für einen umfassenden Blitzschutz. Damit ist das Gebäude umfassend für Zukunftsaufgaben gesichert, obwohl um Detail noch viele Aufgaben anstehen die sich aus dem Alter des Hauses ergeben und die den Verein noch Jahre beschäftigen werden. Weiter ist also der Verein auf Spenden und Förderung angewiesen, denn die Einnahmen aus den Veranstaltungen decken zur Not nur die Ausgaben. Wenn aber die Hilfe durch Förderer, Handwerker und Öffentlichkeit wie bisher den Verein unterstützt, sind wir guten Mutes.
Das Ergebnis wird zweierlei sein, wenn alle mithelfen. Ein Gebäude wird erhalten und ein Dorf wird auf diese Weise seine Gestalt bewahren können, wird nicht ganz seine Vergangenheit verlieren, wie es viele schon verloren haben. Und es wird die Möglichkeit geben, in einer guten Umgebung - traditionsbewusst und modern - miteinander gesellschaftliches Leben zu praktizieren. Dafür lohnt es sich doch, etwas zu tun.
Prof. Dr. Jürgen Roloff
"Kulturzentrum Erbgericht Reinhardtsgrimma e.V."
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