SMUL LO EPLR CMYK RZ 240px

Das moderne Bauen kennt für Gebäude oft nur eine Kennzahl: Die Rentabilität. Ist der kostendeckende Betrieb eines Gebäudes nicht mehr gegeben, so ist sein Schicksal besiegelt und es wird abgerissen, muss Platz machen für eine neue Investition. Dagegen gibt es Gebäude, deren Schönheit, Bedeutung, Stellung in ihrer Umgebung oder Entstehung so nachdrücklich und wichtig ist, dass sie über Generationen erhalten und den jeweiligen Gegebenheiten und Ansprüchen immer wieder angepasst werden. Unser Erbgericht in Reinhardtsgrimma gehört zu den Letzteren. Wenn auch nicht in der jetzigen Gestalt, reicht seine Baugeschichte bis in die Anfänge des Ortes zurück, ist also viele hundert Jahre alt.

drittes leben 01Sein erstes Leben war das Gehöft des Erbrichters, ein Bauernhof wie die anderen, aber mit der Aufgabe, der niederen Gerichtsbarkeit zu dienen, also ein Ort zu sein, in dem Bauern zusammen kamen, um ihre Streitigkeiten vom Dorfrichter geschlichtet zu bekommen. Der Richter, später Erbrichter, da sich das Amt in der Familie vererbte, hatte das Privileg, dabei Bier auszuschenken und so entstand die erste Schänke im Ort. Sehr lange dauerte diese Epoche in  jeweiliger Pachtabhängigkeit von den Grundherren. Auch als die niedere Gerichtsbarkeit 1839 aufgehoben wurde, änderte sich nicht viel an der Bedeutung des Erbgerichtsgebäudes.  Bauernhof, Gaststätte, Schlachterei. Das Erbgericht blieb, auch dank der Umbauten die der damalige Schlossbesitzer Ruschenbusch vornahm, ein wesentlicher Bestandteil der Dorfgemeinde mit der alten Funktion. Ruschenbusch fügte alte Teile mit Neuen zusammen, modernisierte das große Haus nach neuen Bauvorschriften und so überstand das Gebäude auch mit wechselnden Eigentümern zwei Weltkriege. 

drittes leben 02Freilich war nach 1945 der Anspruch der Zeit an so einen zentralen Mittelpunkt des Ortes ein anderer geworden. Die Konsumgenossenschaft kaufte 1958 das Gebäude und nun begann das zweite Leben des Erbgerichts. Der Architekt Dr.-Ing Peter Wendt baute das alte Gemäuer zu einem Landwarenhaus und Kulturzentrum um. Neben der Erneuerung des Innenputzes, auch teilweise der Fenster und Türen, dem Einbau eines neuen Fußbodens im Erdgeschoß und eines Holzfußbodens im Obergeschoß, erweiterte er die Bühne des Gasthofsaales und erneuerte die Saaldecke. Eine Heizung wurde eingebaut, eine elektrische Beleuchtungsanlage, eine Blitzschutzanlage und später auch eine Kläranlage. Das Haus wurde gründlich modernisiert. Nicht pfleglich ging er allerdings mit der Fassade um. Aus rein funktionellen Gründen baute er in die Straßenseite große Saalfenster, Schaufenster und Schauvitrinen ein. Das galt zwar als „modern“ zerstörte aber den Charakter des ortsbildprägenden Gebäudes erheblich. Jedoch blieb das Erbgericht, nun der „KONSUM“, wieder für viele Jahre ein zentraler Begegnungsort mit Gaststätte, Industrieverkaufsstelle, Lebensmittelladen und großem Saal. Viele Erinnerungen und Erlebnisse aus dieser Zeit sind auch heute noch lebendig. Aber die Zeit bleibt nicht stehen. Die „Wende“, das Ende der DDR 1990, zwang auch den KONSUM sich der neuen Zeit anzupassen. Leider mit einem negativen Ergebnis für das Gebäude. Die Genossenschaft zog sich zurück und ließ das Gebäude leer stehen. Kein Gebäude hält Leerstand längere Zeit ohne Schaden aus und so begann für das Erbgericht der langsame Weg in ein Ruinenstadium. 

Schon entstanden erste Gedanken für einen Abriss.

Aber nun begann das dritte Leben des Erbgerichts, das nun mit der erfolgreichen Sanierung 2020 seine Wiederaufbauphase weitgehend abgeschlossen hat. Der 2005 neu gegründete Erbgerichtsverein, zunächst aus nur wenigen Mitgliedern bestehend, kaufte das leerstehende Gebäude dem KONSUM ab und begann  mit geringen Mitteln und großem Engagement in kleinen Schritten das Gebäude als „Kulturzentrum Erbgericht Reinhardtsgrimma“ wieder nutzbar zu machen. Darüber ist schon oft berichtet worden. Hier soll nun noch über die vorläufig letzte große Instandsetzung berichtet werden.

drittes leben 03Die bisherigen Arbeiten, so wirksam wie sie waren, erforderten doch immer nur relativ geringe Mittel und basierten im Wesentlichen auf dem Engagement der Vereinsmitglieder, auf Spenden, freiwilligen Handwerkerleistungen und gelegentlichen Förderungen der Stadt oder des Denkmalschutzes. Trotzdem flossen in der Zeit von 15 Jahren etwa 300.000 € mit den Arbeiten in das Gebäude ein. Aber nun standen Arbeiten an,  bei der es mit kleinen Schritten wie bisher nicht mehr möglich war, das Baugeschehen zu steuern.  Die Zeit, die Bauvorschriften, und die Funktion des Kulturzentrums erforderten, wie 1958 beim Umbau zum KONSUM größere Baumaßnahmen. Da war das große Dach, das nun über 60 Jahre gehalten und seine Lebenszeit längst überschritten hatte. Die Energielage erforderte dringend eine Dämmung der 1958 eingebauten Saaldecke,  die an das Ende ihrer Haltbarkeit angekommen war. Die erforderlichen Baumaßnahmen, mit der angenommenen Kalkulationssumme von etwa 248.000 € überforderten die normalen Möglichkeiten des Vereins erheblich. Hier konnte nur eine massive  Fördersumme weiterhelfen. Das Entwicklungsprogram für den ländlichen Raum des Freistaates Sachsen (LEADER-Programm), gespeist aus dem Europäischen Landwirtschaftsfond für die Entwicklung des ländlichen Raumes, gab die Möglichkeit eine entsprechende Förderung von 80% der Kalkulationssumme, also etwa 198.000 € zu beantragen. Aber erst eine Beschlussvorlage des Stadtrates Glashütte zur „Bereitstellung eines Zuschusses von 50.000 € für Sanierungsarbeiten am Erbgericht Reinhardtsgrimma im Rahmen der LEADER-Förderung“, verbunden mit einem zurückzahlbaren Überbrückungsdarlehen von 250.000 €, machte es möglich diese Förderung auch zu realisieren. Das Überbrückungsdarlehen etwa in Höhe der Fördersumme und des notwendigen Eigenanteils war notwendig, da die entstehenden Kosten zunächst bezahlt werden müssen, ehe sie am Schluss  der Maßnahmen durch die Förderung ausgeglichen werden können. Die Eigenmittel des Vereins hätten das allein nicht leisten können. Die bürokratischen Schritte, Formulare und Begründungen, von den ersten Vorstellungen bis zur Gewährung des Antrags will ich hier übergehen, sie würden den Rahmen sprengen. Aber 2019 stand das Geld bereit und die Bauplanungen konnten beginnen. Hier muss das Ingenieurbüro Thierfelder erwähnt werden, das in uneigennütziger Arbeit die ersten grundlegenden Kalkulationen erstellte, ohne die ein Förderantrag nicht gestellt werden kann. Über 900m² Dachfläche musste ersetzt und eine Blitzschutzanlage installiert werden. Dann kam die erste Überraschung: Die Denkmalpflege, die ja das Äußere des Gebäudes überwacht, forderte statt der geplanten Falzziegel eine weitaus teurere Deckung mit Bieberschwanzziegeln. In dreiseitigen Verhandlungen zwischen Denkmalschutz, Dachdecker und Verein konnte das Problem zur Zufriedenheit gelöst werden. Mit dieser Dachdeckung kann sich das Erbgericht nun als denkmalgeschütztes Gebäude zusammen mit dem Schloss präsentieren. 

drittes leben 04Schwierig im Bauablauf war der Ersatz der Saaldecke, der notwendig wurde, da die alte Decke keine Standsicherheit mehr hatte und erst recht nicht die notwendige neue Wärmedämmung tragen konnte. Abriss der Decke, Neubau in  F 90 (Feuerschutz) und hochwertige  (24 cm) Wärmedämmung gingen zum Glück ohne wesentliche Eingriffe in das Holzwerk des Dachtragwerks (dank der guten Erhaltung des Dachstuhls), vonstatten. Auch der Belag zum Schutz des gut erhaltenen Parkettbodens musste eingeplant und verlegt werden. Da mit der Firma „Kreativdach Tino Börner“ Zimmerarbeiten, Dachdeckung und Klempnerei in einer Hand lagen, war der zeitliche Ablauf all dieser Arbeiten im Zusammenhang mit der Dachdeckung am Ende gut geplant. Die neue Decke unterscheidet sich nur wenig von der alten und ist durch neu angebrachte Schalldämmsegel funktionell verbessert. 

Eine weitere wesentliche Verbesserung gegenüber dem vorherigen Zustand ist der Einbau einer Lüftungsanlage. Viele Jahrzehnte fanden die Festlichkeiten, Tanzvergnügen und Faschingsveranstaltungen ohne eine solche mechanische Anlage statt. Die neue Zeit mit ihren hygienischen und energetischen Forderungen verlangt aber diese Verbesserung. Die Anlage ist für einen Luftförderstrom von  4000 m³/h ausgelegt. Sie ist mit Wärmerückgewinnung ausgestattet,  kann in zwei Stufen halb und voll, sowie in Umluft zur Aufheizung betrieben werden. Die Bedienung  erfolgt nutzerfreundlich von der Theke aus. In gemeinsamen Besprechungen, konnte gegenüber der ersten Kostenplanung eine günstige alternative  Lösung für diese Anlage  gefunden werden, sodass auch hier Kosten eingespart wurden.

drittes leben 05Weitere Verbesserungen im Saal betreffen eine teilweise Erneuerung der Elektrik, sowie den Einbau einer Bildleinwand an der Bühne. Nicht alles ging so problemlos. Bei so umfangreichen Baumaßnahmen kommt unweigerlich der Brandschutz mit seinen Forderungen ins Spiel. Viele der Forderungen machten zusätzliche Kosten, Baumaßnahmen und manche Umplanung nötig. Notbeleuchtung und (teure) Brandschutztüren an allen Ein- und Ausgängen des Saales forderten zusätzlich Ausgaben. Aber der Saal steht nun in seinem dritten Lebensabschnitt als eine wichtige moderne Begegnungsstätte der Stadt Glashütte und allen Ortsteilen zur Verfügung. Die Coronawelle hat zwar auch dem Bauvorhaben etwas zugesetzt, da die wesentlichen Arbeiten aber abgeschlossen waren, verzögerten sich nur die Abrechnungen. Dadurch wird der Rechnungsabschluss als ein nicht ganz unwichtiger Abschnitt des ganzen Vorhabens auch etwas verzögert, bleibt aber im Zeitrahmen. Nicht ganz im Rahmen bleiben die Kosten, die ob der vielen zusätzlichen Forderungen des Brandschutzes und der steigende Baukosten den vorgegebenen Umfang etwas überschritten haben. Dieser Teil wird durch einen Eigenkostenanteil auszugleichen sein. Man sieht daraus, dass auch weiterhin für den Verein die Notwendigkeit besteht, an die Spendenbereitschaft seiner Freunde zu appellieren, denn die Veranstaltungen decken in der Regel nur die Entstehungskosten.  Abschließend bleibt zu berichten, dass mit den geschilderten Bauarbeiten auch das lang geplante Vereinszimmer in Obergeschoß fertiggestellt werden konnte. Damit hat der Vorstand für seine internen Sitzungen einen geeigneten Raum zur Verfügung. Restarbeiten stehen noch im Dachgeschoss an, das die Lüftungszentrale beherbergt. Damit das Begehen dieses gut erhalten alten Gebäudeteils gefahrlos wird, muss der Bodenbelag erneuert werden. Erfreulich ist auch, dass nun wieder ein Hausmeister ab und zu seine Runde im Gebäude machen und für Ordnung und Sicherheit sorgen wird. Damit kann nun das Erbgericht gut gerüstet seinem dritten Lebensabschnitt entgegensehen und als ein Zentrum für Kultur, Unterhaltung, Feiern, Information und Geselligkeit zum Nutzen Aller wirksam werden. Erbgerichtsverein und Heimatverein, Pilzmuseum, Kaffeestube (Café Ruschenbusch), Säulensaal und großer Festsaal  sind unter seinem Dach vereint. Anlaufpunkt für viele Möglichkeiten. Vielleicht sollte dies auch ein Anstoß sein, dem Verein beizutreten, für alle die zwar Freunde des Erbgerichts sind aber eine direkte Beteiligung als Mitglied bisher scheuten.


Für den Vorstand Prof. Dr. Roloff

 

 

Die Baumaßnahme wird gefördert durch:

SMUL LO EPLR CMYK RZ 600px